Big Brother ante portas
Dr. Joy Rendi-Wagner (Bundesparteivorsitzende der SPÖ) hat sich in den letzten Tagen offensichtlich mit der Frage beschäftigt, ob "Big Data" (dabei handelt es sich um die Verwendung und Auswertung riesiger Datenmengen durch komplexe Technologien) als Maßnahme bei der "Bekämpfung" der Corona-Pandemie zum Einsatz bringen soll oder nicht.
Dazu hat sie der Öffentlichkeit folgende Stellungnahme zukommen lassen:
Pamela Rendi-Wagner (facebook) - 27.03.2020
Gestern um 05:25 ·
Big Data kann wesentliche Eingriffe in die Grundrechte der BürgerInnen in unserem Land bedeuten. Die Regierung muss bei dieser hochsensiblen Frage Opposition, Datenschutzbehörde und VerfassungsrechtsexpertInnen in einer Taskforce einbinden. Gerade in Zeiten der Krise muss mit unseren Grund- und Freiheitsrechten sorg- und achtsam umgegangen werden. Eine Nicht-Einbindung der Opposition wäre das Gegenteil von einem nationalen Schulterschluss.
Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es mE weder eines nationalen Schulterschlusses noch der Bildung eines Arbeitskreises ("Taskforce" - klingt allenfalls besser, meint aber dasselbe).
Wenn sich Frau Dr. Rendi-Wagner die Mühe gemacht hätte, die Erwägungsgründe 46 und 52 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) zu lesen, hätte sie feststellen können, dass eben gerade "in Zeiten der Krise" Maßnahmen wie die Verwendung von personenbezogenen Daten für bestimmte Zwecke zulässig sind.
Dazu (auszugsweise aus diesen beiden Erwägungsründen):
Erwägungsgrund 46:
"(...) Einige Arten der Verarbeitung können sowohl wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses als auch lebenswichtigen Interessen der betroffenen Person dienen; so kann beispielsweise die Verarbeitung für humanitäre Zwecke einschließlich der Überwachung von Epidemien und deren Ausbreitung oder in humanitären Notfällen insbesondere bei Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachten Katastrophen erforderlich sein. (...)"
Erwägungsgrund 52:
"Ausnahmen vom Verbot der Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten sollten auch erlaubt sein, wenn sie im Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen sind, und - vorbehaltlich angemessener Garantien zum Schutz der personenbezogenen Daten und anderer Grundrechte - wenn dies durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt ist, insbesondere für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und des Rechts der sozialen Sicherheit einschließlich Renten und zwecks Sicherstellung und Überwachung der Gesundheit und Gesundheitswarnungen, Prävention oder Kontrolle ansteckender Krankheiten und anderer schwerwiegender Gesundheitsgefahren. (...)"
In der DS-GVO selbst findet man die maßgebliche Rechtsgrundlage in Art. 6 Abs. 1, lit. d), e) u. f) ("Rechtmäßigkeit der Verarbeitung"); innerstaatlich gäben darüber § 10 des Bundesgesetzes zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ("Verarbeitung personenbezogener Daten im Katastrophenfall") bzw. auch in den §§ 92ff des Bundesgesetzes, mit dem ein Telekommunikationsgesetz erlassen wird (Kommunikationsgeheimnis, Datenschutz) Auskunft.
Sollte daher die Bundesregierung zur Ansicht gelangen, von solchen Maßnahmen Gebrauch machen zu wollen, sind weder Gesetzesänderungen noch neue Gesetze erforderlich; dazu bedarf es auch nicht (wie Frau Dr. Rendi-Wagner vermeint) der Einbindung von "Opposition, Datenschutzbehörde und VerfassungsrechtsexpertInnen in einer Taskforce".
Es geht einzig und allein um die Frage, ob das (rechtmäßige) Verwenden von personenbezogenen Daten dazu beitragen kann, die Ausbreitung der COVID-19 Epidemie einzudämmen; zur Beantwortung dieser Frage benötigt man aber weder einen Arbeitskreis noch Expertisen von Rechtskundigen aus den Bereichen Datenschutz- und Verfassungsrecht. Diese Frage lässt sich problemlos mit normalem Hausverstand beantworten.
Das dürften Kurz & Kogler aber ohnedies bereits wissen.
Chr. Brugger
28.03.2020