Bildung auf österreichisch
Meine kritischen Ansichten zum Prozedere im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme des Schulbetriebes im Mai 2020 dürften ja mittlerweile bekannt sein. Für mich erschließt sich die Sinnhaftigkeit, die Schulen für ca. 1 Monat (AHS Oberstufe beginnend mit Ende Mai bis Anfang Juli) wieder zu öffnen, absolut nicht. Stehen schon Aufwand und zu erwartender zusätzlicher "Lernerfolg" in keiner vernünftigen Relation, so gilt das für das Verhältnis Risiko - weiteres selbständiges Lernen umso mehr.
Meine beiden Söhne (15, 17) genießen es, eigenständig dafür Verantwortung zu tragen, wofür sie sich interessieren, wann und wo sie was lernen.
Bedingt durch die familiäre Situation haben sowohl meine beiden Söhne als auch ich sehr viel "Kontakt" mit anderen Eltern und Kindern; auch dort ist die Kernbotschaft dieselbe: Fast alle Kinder (aber auch die Eltern) sind froh, dass die Schüler endlich eine längere Zeit selbst darüber entscheiden können, welchen Themen sie sich aus Eigenem vermehrt widmen dürfen. Es ist für sie ein Privileg, das man ihnen bislang vorenthalten hat.
Das hängt - so die zusammengefasste Ansicht - vor allem damit zusammen, dass in der Schule (lehrplanmäßig) nahezu unerträglich viel Unnützes unterrichtet wird. Die Schüler können dabei sehr gut darüber befinden, welche Inhalte unsinnig, welche hingegen für sie hilfreich sind, ihren Interessen und Talenten entsprechen.
Warum auch immer befindet sich in meinem Umfeld mehr als eine Hand voll "Mathematiker" (also Lehrkräfte im Bereich Mathematik AHS).
Jetzt ist Mathematik bekanntermaßen nicht unbedingt das Lieblingsfach der Schüler schlechthin. Warum das so ist, erschließt sich mir durchaus; auch ich habe dieses Schulfach mehr oder weniger gehasst.
Nun habe ich begonnen, mich - anlassbedingt - u.a. mit dem Lehrplan für Mathematik zu beschäftigen; zuerst habe ich dazu mein mathematisches Umfeld befragt und dabei festgestellt, dass in 8 Jahren AHS-Mathematik keine einzige(!) Stunde dafür verwendet wird, sich mit der Geschichte dieser durchaus wichtigen wie aktuellen Disziplin auseinanderzusetzen.
Ganz sicher steht die Abneigung der Schüler für dieses Schulfach auch mit dieser (für mich) nicht vorstellbaren Tatsache in Zusammenhang. Wie kann man von einem Schüler verlangen, dass er sich mit Logarithmen und Exponentialfunktionen vertraut machen soll, wenn er nicht einmal den Namen Ferdinand Euler kennt; mit Jost Bürgi ließe sich problemlos der Bogen zur Uhrmacherkunst spannen, erhielte man (so man wollte) Zutritt zur (Fein-) Mechanik, insbesondere zu Abraham Louis Breguet und dessen bahnbrechenden Erfindungen.
Das Erlernen der Differentialrechnung könnte man den Schülern mit Leibnitz und Newton näherbringen, dann erführen sie neben der reinen Theorie (die sie ohnedies schon wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht verstehen) eine praktische Aufwertung.
Mit Pierre de Fermat würden sie allenfalls verstehen (lernen), dass man als Mathematiker nicht nur "Fachtrottel", sondern nebenbei auch noch etwas anders sein kann.
Noch viel mehr ließe sich mit der Integralrechnung erreichen; allein mit Kenntnissen über Archimedes ließe sich sehr viel (nicht nur im Sinn seiner Hebelgesetze) bewegen.
All das könnte - wenigstens in Summe - der "Schulmathematik" zumindest die "theoretische Spitze" nehmen, die Schüler leichter verstehen lassen.
aber nein: nichts, gar nichts von alledem!
Das Problem am Ganzen: das eben Geschriebene gilt leider nicht nur für die Mathematik; ich will meine Ausführungen zu den Unterrichtsfächern Physik, Chemie, Deutsch etc. gar nicht fortsetzen; auch dort sind in den Lehrplänen überwiegend nur Stoffe "verarbeitet", bei denen es nicht verwundert, dass sie von den Schülern (von Ausnahmen abgesehen) nicht akzeptiert werden; durch die fehlende Akzeptanz bleibt logischerweise jedwedes Interesse "auf der Strecke".
Dieser Exkurs führt wieder zur Ausgangsposition zurück; viele Schüler sind froh, wenn sie sich mit von ihnen selbst "entrümpelten" Lehrplänen (nämlich ihren eigenen) beschäftigen und die langatmigen Erklärungen ihrer Pädagogen nicht mehr anhören müssen, die wiederum ihrerseits relativ wenig dafür können; sie unterrichten (teils weil sie es nicht anders können, teils, weil sie nichts anders gewöhnt, gleichsam lethargisch wie gelähmt sind), wie sie eben seit Jahren, teilweise Jahrzehnten unterrichten.
Dass diese Symbiose wenig erfolgversprechend ist, kann sich jeder durchaus vorstellen.
Und nunmehr will eine gewisse Christiane Spiel ((Mit-) Projektleiterin der Studie "Lernen unter COVID-19 Bedingungen") nach (Teil-) Auswertung des ersten Fragenbogens (zum Inhalt des Fragenbogens will ich mich schon deshalb nicht äußern, weil man bei der Lektüre des Inhaltes bzw. der Fragestellungen entweder lachen kann oder, besser, weinen muss; die Fragestellungen sind an Dummheit nicht zu überbieten; nur ein Beispiel: bist du stark???) u.a. Folgendes wissen: "Wie auch bei anderen Umfragen gehen wir davon aus, dass wir bildungsferne Schüler eher nicht erreicht haben. Es ist also ein weit höherer Nachholbedarf gegeben, als unsere Umfrage deutlich macht".
Selbst wenn man es absichtlich wollte: Viel mehr an Unsinn kann man gar nicht schreiben oder sagen.
Was ist ein "bildungsferner" Schüler? Dabei kann es sich (definitionsgemäß) nur um Schüler handeln, die über ein geringes Maß an Bildung verfügen bzw. Schüler, die vom Bildungssystem unverschuldet ausgeschlossen wurden bzw. bei denen die Eltern über ein niedriges Maß an Bildung verfügen.
Wenn das tatsächlich so gemeint sein soll, dann kann man nur den Vorschlag unterbreiten, Christiane Spiel all ihre vielen Titel und Auszeichnungen abzuerkennen und sie von ihren vielen Funktionen zu entbinden.
Eine solche "Einstellung" kann man nur mit dummdreist bezeichnen; überdies ist schon die Verwendung des Begriffes ("bildungsfern") diskriminierend!
Von solchen Scharlatanen lässt sich der ohnedies bereits (in seiner Funktion) angeschlagene Bildungsminister Faßmann offenbar beraten.
Und das Alles vor dem Hintergrund der offiziellen österreichischen Bildungspolitik sowie der (zumindest scheinbar) offiziellen Sichtweise der Universität Wien.
Faßmann & Spiel sind eine Beleidigung für das österreichische Bildungssystem.
Da wäre beinahe schon das Bildungssystem von Nordkorea das geringere Übel; dort gibt es eine zehnjährige Schulpflicht; die Alphabetisierungsquote beträgt dort 99%; in jeder Stadt gibt es verpflichtend öffentliche Bibliotheken; dafür gibt es im gesamten Land keinen Internetzugang. Dort kann es also - im Unterschied zu Österreich - gar keine bildungsfremden Schüler geben.
Chr. Brugger
29.04.2020