Der verkommene Staat
Semantisch betrachtet bedeutet "verkommen" im konkreten Fall nichts anderes als moralisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich verwahrlost – das Bild von Österreich, das sich nicht erst in den letzten Wochen und Monaten gezeigt hat, lässt den "gemeinen" Staatsbürger staunen und das, was er zu sehen bekommen hat, nicht mehr für wahr halten.
Die "gutgläubige", weil immer noch nicht wahrhaben wollende Reaktion lautet "das kann doch nicht wahr sein" oder "es kann nicht sein, was nicht sein darf"; man will immer noch lieber vermuten und ja nichts davon wissen; besser die Realität ignorieren als sich mit ihr vertraut machen und dessen ansichtig werden, was medial kolportiert und an das Licht der Öffentlichkeit gebracht wird.

Quelle: https://science-to-go.com/immanuel-kant-weltfrieden-und-selbstdenken/
Das "normale" Volk zieht sich zurück, was ihm als Politikverdrossenheit ausgelegt wird; das "normale" Volk verweigert dem, was es zu sehen und zu hören bekommt, sein Interesse und damit letztlich das Vertrauen; wer vertraute schon in etwas, das er nicht wahrhaben will und innerlich ablehnt und verabscheut?
Die Menschen wissen, besser als die sie Regierenden vermuten würden, was dem Staat schadet und was ihm dienen würde; zumindest in ihrem kollektiven Verständnis sind sich im Wesentlichen "allesamt" einig; diese, wiewohl stillschweigende, Übereinstimmung wird politisch konterkariert; insofern treffen sich zwei "Welten", deren gemeinsame Schnittmenge so klein ist, dass zwangsläufig ein Dissens entsteht, der sich als irreversibel erweist.
Der Souverän hat sich so weit von seinem eigenen Staat entfernt, dass er ihn nicht mehr zu sehen bekommt – das ist das eigentliche Dilemma.
Sieht man sich das "offensichtlich Gewordene" an, so erhellte sich ja von selbst, was zu geschehen hätte; während das Volk, bedauerlicherweise bloß als stimmenloses und handlungsunfähiges Kollektiv, genau weiß und spürt, dass es so nicht länger weitergehen kann und darf, sind aber diejenigen, die es vordergründig "in der Hand" hätten, weder willens noch in der Lage adäquat und konsequent zu handeln, um die "Distanz" zu verringern; so befinden sich Volk und Regierende, gleichsam vor sich hindämmernd, außer Reichweite.

Quelle: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11125515?page=1
Hierzulande braucht es immer einen politischen "Meteoriteneinschlag", um "Handelnde" und "Behandelte" aus deren schlafähnlichem Zustand aufschrecken zu lassen; am Beispiel des "Unglücksraben" Harald Mahrer wird einmal mehr erkennbar, woran es hierzulande mangelt, was für die "Fremde" zwischen "Machthabern" und "Machtbefohlenen" entscheidend ist: Die Politiker leben ausschließlich in ihren bekannten, recht feudalen und von ihnen selbst erschaffenen Systemen, das Volk hingegen ist ob seines kollektiven Verständnisses in der Lage, systemisch zu empfinden; insofern benötigte das Volk gar keinen "Einschlag" der "Marke Mahrer"; es wüsste auch so, aus sich heraus, was zu tun wäre; solches Empfinden ist den "Machthabern" völlig fremd; für sie ist der "Fall Mahrer" zwar kein willkommener, aber dennoch Anlass genug, um sich, wenn auch nur für ein paar wenige Tage, mit sich selbst zu beschäftigen; mit glaubwürdiger Selbstreflexion hat das zwar kaum etwas zu tun, für die "Wahrung des Anscheins" sollte es aber wohl genügen; am Ende des fremdbestimmten "in sich Gehens" wird sich das "System" nicht geändert haben; nach ein paar bedeutungslosen "kosmetischen Reparaturen" wird man sich aber zumindest selbst suggerieren können, einem "Reformwillen" entsprochen zu haben, den es, zumindest so, nie gegeben hat – Paartherapeuten würden allenfalls davon sprechen, es würde wieder einmal aneinander vorbeigeredet; die "Botschaft" des einen kommt beim anderen bereits insofern nicht an, als ihre "Halbwertszeit" am haben Weg geendet hat; sollte sie hingegen und wider Erwarten ankommen, wird sie entweder missverstanden oder als das wahrgenommen, was sie nie hätte sein wollen; ein weiterer, oder just, und wie zum Trotz, der nächste Antagonismus im Sinne Immanuel Kants viertem Satz seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" – eine "ungesellige Geselligkeit"; der deutsche Meisterphilosoph, einer der größten europäischen Aufklärer, hat insofern 1784 das antizipiert, was sich bei uns im 21. Jahrhunderts abspielt.

Quelle: https://www.belltower.news/symbolik-schafe-in-der-verschwoerungsideologie-109197/
Der "gemeine" Staatsbürger hat die Neigung, sich zu vergesellschaften, weil er sich dabei mehr als Mensch im Sinne seiner natürlichen Anlagen wahrnimmt; der Politiker hingegen hat den Hang, sich zu isolieren, "weil er in sich zugleich die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten zu wollen" – dieser kant´sche Antagonismus ist in Österreich, zumindest derzeit, nicht auflösbar.
Und daraus erwächst, wie Kant "prophezeit" hat, jener "Widerstand, den jeder bei seinen selbstsüchtigen Anmaßungen notwendig antreffen muss" und letzten Endes dazu führt, was Kant in seinem fünften Satz beschreibt: "Das größte Problem für die Menschengattung, zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft".
Das Volk lebt also, nicht nur in Österreich, das von Kant beschriebene "arkadische Schäferleben", das durch die "selbstsüchtigen Anmaßungen" der Politik seiner eigenen Ausgrenzung gewahr wird; als Ursache für diese "Unvertragsamkeit" ortet Kant "missgünstig wetteifernde Eitelkeit" und "die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben, oder auch zum Herrschen".
Solange wir nicht bereit sind dem "Schäferleben" abzuschwören oder zu entsagen, haben Politiker keine Veranlassung, an ihren "Begierden zum Haben und Herrschen" etwas zu ändern – die "gemeinen" Staatsbürger können der "Leere der Schöpfung" nur dadurch "ausfüllen", indem sie durch praktische Prinzipien und aufgeklärtes Denken die Gesellschaft zu einem "moralischen Ganzen" zusammenführen; politisch ist das aber weder gewollt noch gewünscht und daher wird es auch nicht geschehen …
Chr. Brugger
15/11/2025
