Die linke und die rechte Hand …

05.11.2020

Nein, gemeint ist nicht der Film "Die rechte und die linke Hand des Teufels", vielmehr die Tatsache, dass scheinbar im österreichischen Innen- und Justizministerium die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Die Hände stehen dabei sprichwörtlich für einzelne Teile einer Organisation, die allerdings äußerst schlecht zusammenarbeiten. Sinnbildlich handelt es sich also definitionsgemäß um die Kritik am chaotischen Zustand von Organisationen, in diesem Fall der genannten Ministerien.

Schenkt man den durchwegs ausweichenden, dahingestammelten Äußerungen bzw. Antworten der österreichischen Justizministerin, Alma Zadić, im Interview vom 04.11.2020 (ZIB 2) irgend einen Glauben, dann ist davon auszugehen, dass das Innenministerium (respektive das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung - BVT) von der bedingten Haftentlassung des Attentäters von Wien zumindest informiert wurde. In Kenntnis der Tatsache, dass Kujtim Fejzulai wegen terroristischer Aktivitäten (§ 278b StGB) verurteilt wurde hätte er lt. Zadić für die Dauer von drei Jahren beobachtet bzw. kontrolliert werden müssen. Die bedingte Haftentlassung sei unter "ganz strengen Auflagen" erfolgt, die Gefahreneinschätzung habe jedoch durch das BVT zu erfolgen; sie werde ihre "Unterstützung zur Verfügung" stellen; man müsse die Kommunikation zwischen den "Staatsschützern" und den Staatsanwaltschaften verbessern, sich die Informationsflüsse im Rahmen einer Untersuchungskommission genau ansehen.

Zadić weiter: "Was hätte man in diesem Fall machen müssen, um für die Zukunft gerüstet zu sein; es bringt jetzt nichts, der Bevölkerung den Schuldigen zu suchen; man müsse jetzt nach vorne schauen und gemeinsam Maßnahmen setzen, dass so etwas nie wieder passiert (...)".

Von den Gerüchten um den versuchten Munitionskauf in der Slowakei habe sie erst am Abend der Tat erfahren.

Es stellt sich allerdings die Frage, wie es sein kann, dass die österreichische Justizministerin von diesem seit 23.07.2020 bekannten Umstand nie etwas erfahren haben will. Immerhin ist das Landesgericht Wien für die Dauer von drei Jahren (Probezeit) ab Entlassung aus der Haft (05.12.2019) für den am 25.09.2019 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 22 Monaten Haft Verurteilten zuständig.

Es stellt sich auch die Frage, warum in- und ausländische Medien binnen kürzester Zeit Kenntnis vom mehrfach versuchten Munitionskauf in der Slowakei (samt Videoaufnahmen der aufgesuchten Verkaufsstellen) haben konnten sowie über den Bericht des Innenministeriums der Slowakischen Republik an die Amtskollegen in Wien verfügen und zu diesem Zeitpunkt in Österreich sowohl Bundeskanzler, Innenminister als auch der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit scheinbar immer noch im "Dunkeln" herumgetappt sind und für alle drei Justitia die Schuldige war.

Entweder sind alle drei so naiv, oder sie lesen keine Berichte im Internet; eine Variante wäre auch: Alle drei haben verschweigen wollen, was ohnedies (zu diesem Zeitpunkt) bereits jeder wusste - dann hätten sie schlichtweg gelogen; das ist aber die wahrscheinlichste Erklärung, denn Naivität und Dyslexie kann man dem "Triumvirat" wohl kaum unterstellen.

Nun fordern sowohl der Innenminister als auch die Justizministerin eine Untersuchungskommission, die den Anschlag vom 02.11.2020 und die damit verbundenen Kommunikations- und sonstigen Probleme aufklären soll.

Klar ist aber, dass aufgrund der derzeitigen Faktenlage davon auszugehen ist, dass unter Federführung und Mitwissen von Innenminister sowie dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit zumindest grob fahrlässig die nationale Sicherheit massiv gefährdet wurde; durch das ignorante Verhalten von Innenministerium samt BVT wurden vier Menschen getötet und mehr als zwanzig verletzt.

Wenn Zadić nun (scheinbar in Übereinstimmung mit dem Innenminister) fordert, dass man prüfen müsse, was "man in diesem Fall hätte machen müssen, um für die Zukunft gerüstet zu sein", dann klingt das nicht nur widersprüchlich, sondern zynisch.

Braucht es tatsächlich, trotz vermeintlich klarer Sachlage, einen solchen "Anlassfall" (Attentat vom 02.11.2020), dass Innen- und Justizministerium kommissionieren können, was künftig anders zu machen sei?

Müssen Menschen sterben und verletzt werden, damit die Verantwortlichen der beiden Ministerien endlich "in die Gänge" kommen?

Muss man wissentlich die nationale Sicherheit gefährden, damit man danach im Rahmen einer Untersuchungskommission die eigenen Verfehlungen überprüfen kann?

Im Unterschied zu Zadić vertrete ich die Ansicht, dass "man" der Bevölkerung den oder die "Schuldigen" präsentieren muss; es braucht auch keine Untersuchungskommission - die Überprüfung kann problemlos und kurzfristig von einer einzigen (unabhängigen) Person durchgeführt werden (sofern alle erforderlichen Unterlagen und Informationen zur Verfügung gestellt werden).

Die taktische Absicht hinter einer solchen Kommission ist leicht erkennbar: Die ganze Prüfung zeitlich so in die Länge zu ziehen, dass "Gras" über die Angelegenheit gewachsen und irgendwann aus der Erinnerung der Bevölkerung verschwunden ist.

Zadić vertritt auch die Ansicht, dass man nunmehr auch den Prozess der Deradikalisierung überprüfen müsse, um zu wissen, wie sich dieser derzeit gestalte. Scheinbar kennt Zadić das bereits im Jahr 2017 vom Justizministerium an das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) in Auftrag gegebene Forschungsprojekt "Wege in die Radikalisierung - Wie Jugendliche zu IS-Sympathisanten werden (und welche Rolle die Justiz dabei spielt)" noch nicht; sonst wüsste sie, wie und unter welchen Bedingungen Deradikalisierung in Österreich stattfindet. Eine Lektüre des 64-seitigen Endberichtes würde sich aber auch für die Verantwortlichen im Innenministerium anbieten.

Selbst die Forderung der Justizministerin nach einer engmaschigeren Deradikalisierung ändert nichts am anlassfallbezogenen Fehlverhalten bzw. den folgenschweren Unterlassungen der zuständigen Behörden, insbesondere des BVT.

Die Zuständigkeiten "rund" um das bzw. die Aufgaben des BVT sind gesetzlich klar geregelt: Nach dem Bundesgesetz über die Organisation, Aufgaben und Befugnisse des polizeilichen Staatsschutzes (Polizeiliches Staatsschutzgesetz - PStSG) dient der polizeiliche Staatsschutz u.a. dem Schutz der Bevölkerung vor terroristisch, ideologisch oder religiös motivierter Kriminalität. Diese Aufgaben sind vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (als Organisationseinheit der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) wahrzunehmen, wobei das BVT bei Vollziehung des PStSG für den Bundesminister für Inneres tätig wird. Dem Bundesamt steht ein Direktor vor, der auch die Funktion als Informationssicherheitsbeauftragter für den Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Inneres i.S.d. Informationssicherheitsgesetzes - InfoSiG wahrnimmt.

Das heißt im Klartext: Das BVT ist gesetzlich verpflichtet, die Bevölkerung vor terroristisch, ideologisch oder religiös motivierter Kriminalität zu schützen. Dieser Verpflichtung sind das BVT, die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit sowie das Innenministerium im konkreten Fall (Attentat vom 02.11.2020) nicht nachgekommen. Durch dieses rechtswidrige Unterlassen der vorgeschriebenen Verpflichtungen sind vier Menschen getötet und zweiundzwanzig verletzt worden - und um das zu "überprüfen" will man jetzt eine Untersuchungskommission einsetzen.

Klar ist damit aber auch, dass das "Ablenkungsmanöver" (der Attentäter befand sich nach der bedingten Haftentlassung in "den Händen" der Justiz) von Kurz, Nehammer und Ruf wohl eine glatte Lüge war. Unabhängig davon, dass die Justiz für den Verlauf der 3-jährigen Probezeit zuständig ist, hätte das BVT Kujtim Fejzulai laufend überprüfen bzw. kontrollieren und insbesondere dem schriftlichen Bericht des Slowakischen Innenministeriums vom 23.07.2020 nachgehen müssen.

Es könnte aber durchaus auch der Fall sein, dass weder Nehammer noch Ruf wissen, wofür sie eigentlich zuständig bzw. dass sie für das BVT verantwortlich sind. Ob der dargebotenen Vorgangsweise sollte man diese Möglichkeit jedenfalls nicht gänzlich ausschließen.

Mit welchen neuen Erkenntnissen die Öffentlichkeit in den nächsten Tagen auch immer konfrontiert wird: Bereits jetzt ist mit freiem Auge erkennbar, dass zumindest in zwei österreichischen Ministerien die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut (oder eben nicht).


Chr. Brugger

05/11/2020