Die Schande Europas
Irgendwie sind wir ÖsterreicherInnen auch EuropäerInnen bzw. sollten uns, wenn es nach den "Unionisten" geht, als solche fühlen; rein philosophisch betrachtet spräche man vermutlich von einem ontologischen Konzept, das identitätsstiftend dazu beitragen soll, gleichsam über die Bildung eines kollektiven Gedächtnisses aus eigenbrötlerisch denkenden Hegemoniefetischisten endlich "echte Europäer" zu machen, Europäer im Sinn einer "geistigen Verwandt- oder Blutsbruderschaft".

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/wissen/todesursache-karl-der-grosse-1.4241844
An diesen bzw. einem ähnlichen Ansinnen ist bereits der "Pater Europae", Karl der Große, gescheitert, dem es zwar gelungen ist, sein fränkisches Reich durch Kriegsführung dermaßen weit auszudehnen, dass man bereits im neunten nachchristlichen Jahrhundert, zumindest geopolitisch, von einem einheitlichen Europa sprechen konnte; dieses "Europa" fand im Vertrag von Verdun (843) aber sein jähes Ende.
So war es, rund 850 Jahre später, William Penn 1693 vorbehalten, in seinem "Essay towards the Present and Future Peace of Europe" die "Einigung Europas" zu skizzieren – naiv zwar, aber immerhin.

Quelle: https://literariness.org/2018/01/30/key-theories-of-edmund-husserl/
Nicht minder naiv, wenn man das so sehen will, waren die Bemühungen von Edmund Husserl, der "Krisis des europäischen Menschentums" einzig auf dem Boden einer "philosophisch aufdeckbaren Teleologie der europäischen Geschichte" begegnen zu wollen; dem "europäischen Menschentum" wohne, so Husserl, eine "Entelechie" inne, "die den europäischen Gestaltenwandel durchherrscht und ihm den Sinn einer Entwicklung auf eine ideale Lebens- und Seinsgestalt als einen ewigen Pol" verliehe; insofern erkläre sich, vereinfacht formuliert, Europa aus sich selbst heraus, als wohnte ihm gleichsam sein eigener Telos inne. Das universale, "kosmologische" Lebensinteresse Europas folge, so man Husserl folgen will, also einer "rein theoretischen Einstellung".
Spätestens zu Beginn der 20. Jahrhunderts ist man, auch politisch und stetig steigend, wieder dem Charme eines "geeinten Europas" verfallen; zwar nicht "geistig", zumindest aber wieder einmal geopolitisch und in Form einer weiteren EU-Erweiterung in Richtung Südosteuropa; neben Albanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien gilt vor allem die Republik Moldau als aussichtsreicher Beitrittskandidat.
An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Idee von einem "vereinten Europa" einzig von der Europäischen Union verfolgt wird – ohne Erfolg zwar, aber dennoch; allein, man wird weder einen Norweger noch ein Schweizer, geschweige denn einen Isländer oder Russen finden, der sich zu jenem Europa bekennen würde, das von der Leyen, Macron, Merz & Co wollen: Ein zentral verwaltetes Staatenkonglomerat, das weder wirtschaftlich noch außen- und sicherheitspolitisch, geschweige denn in den Bereichen der Migration oder des Asyls eine einheitliche Sprache spricht; die genannten Protagonisten erwecken viel eher den Anschein, Beliebigkeit, Wankelmütigkeit und effektheischende Selbstdarstellung wären die Triebfern ihres Handelns.

Quelle: https://www.theguardian.com/world/2023/feb/03/eu-leaders-to-dampen-ukraines-hopes-of-fast-track-eu-membership
Anders ist es nicht zu erklären, dass man offen ausspricht, der Ukraine eine Perspektive in Europa bieten zu wollen; erstens ist die Ukraine bereits ein Teil Europas und zweitens kann die Ukraine nicht Mitglied des EU werden, weil sie die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt.
Von der Leyen & Co erwecken zudem laufend den Anschein, ihr Mandat bezöge sich auf ganz Europa; das inflationär verwendete "Europa müsse mit einer Sprache sprechen" um international reüssieren zu können, ist nicht weniger anmaßend wie falsch; vor allem die Schweiz, Island und Norwegen haben bewiesen, dass es ohne EU und alleine besser geht, als man sich das in Brüssel vorzustellen vermag; wer zudem auch noch das absurde bzw. woke Demokratie-, Grundrechte- und Wertgeschwätz der "Europäer" ernst nimmt, muss sich die Frage stellen, warum man z.B. Israel nicht längst ebenso behandelt, wie andere Staaten, die laufend das das Völkerrecht verletzten und die Menschenrechte mit Füßen treten – was bei den einen recht ist, muss auch bei den anderen billig sein.

Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Merz-Macron-und-Tusk-wollen-Moldau-auf-dem-Weg-in-die-EU-helfen-article25992672.html
Wie auch immer: Die Unionseuropäer sind sich auch nicht zu blöd, in der Republik Moldau vorstellig zu werden, um dort vor dem Hintergrund der bevorstehenden Parlamentswahl am 28.09.2025 Stimmung für die "europafreundliche" PAS (Partidul Acțiune și Solidaritate) von Präsidentin Maia Sandu zu machen; diese Parteinahme entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, da sich ein Teil des offiziellen moldawischen Staatsgebietes, Transnistrien, zwar für unabhängig erklärt hat, aber eng mit Russland verbündet ist; nicht minder brisant ist die Autonomie Gagausiens, das von manchen als "Brückenkopf Putins im Westen" bezeichnet wird; solange zumindest der Transnistrien-Konflikt nicht gelöst ist, kann Moldau die Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft gar nicht erfüllen – der Ausflug von Merz, Macron & Tusk ist daher nur ein weiterer untauglicher Versuch etwas vorzugaukeln, was es in Wahrheit nicht geben kann.
So, wie sich "unsere" vermeintlichen "Europäer" aufführen, wollte kein Europäer je sein; von der Leyen, Macron, Merz & Co sind vielmehr eine Schande für Europa; man fühlt sich ob all dessen an die Anfangszeile des von Günter Grass verfassten Gedichtes "Europas Schande" erinnert: "Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht" …

Quelle: https://escuelapce.com/de/nietzsche/
Vielleicht müsste all diesen "Europaverstehern" aber auch nur Nachhilfe insofern zuteilwerden, als man sie daran erinnerte, was einst Friedrich Nietzsche im 8. Hauptstück von "Jenseits von Gut und Böse", das mit "Völker und Vaterländer" überschrieben ist, zu sagen wusste: "Der Prozess des werdenden Europäers" (…) läuft wahrscheinlich auf Resultate hinaus, auf welche seine naiven Befürworter und Lobredner, die Apostel der "modernen Ideen", am wenigsten rechnen möchten. Dieselben Bedingungen, unter denen im Durchschnitt eine Ausgleichung und Vermittelmäßigung des Menschen sich herausbilden wird (…) sind im höchsten Maße dazu angetan, Ausnahme-Menschen der gefährlichsten und anziehendsten Qualität den Ursprung zu geben" (...). Ich wollte sagen: die Demokratisierung Europas ist zugleich eine unfreiwillige Veranstaltung zur Züchtung von Tyrannen, - das Wort in jedem Sinne verstanden, auch im geistigen".
"Ich höre mit Vergnügen, dass unsre Sonne in rascher Bewegung gegen das Sternbild des Herkules hin begriffen ist; und ich hoffe, dass der Mensch auf dieser Erde es drin der Sonne gleichtut? Und wir voran, wir guten Europäer!"
Nitzsche hat insofern bereits im Jahr 1886 erahnt, was Europa im 20. Jahrhundert bevorstehen wird und was wir jetzt, im 21. Jahrhundert, live miterleben müssen – "die Schande Europas" hat also Nietzsche entweder nie gelesen oder ihn einfach nicht verstanden – das eine ist aber nicht besser als das andere …
Chr. Brugger
29/08/2025