Einfach denken

14.11.2020

An und für sich wäre Politik im Sinne von "politisch sinnvoll und nachhaltig zum Vorteil eines großen Teiles der Bevölkerung zu gestalten" ziemlich einfach. "Einfach denken" müsste man dabei nur in zweierlei Hinsicht verstehen; einerseits im Sinne von "nicht zu kompliziert", andererseits dahingehend, dass man nachdenkt, ehe man mit dem Ergebnis des "Denkprozesses" die Öffentlichkeit beglückt.

Diese vielleicht altklug anmutende These steht zur Aussage von Henry Ford "Denken ist die schwerste Arbeit, die es gibt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sich so wenige Leute damit beschäftigen" in diametralem Widerspruch; dennoch ist mE daran festzuhalten.

Betrachtet man die "politischen Glanzleistungen" der letzten Wochen und Monate, muss man den Eindruck gewinnen, dass zumindest die handelnden Akteure (Kanzler, MinisterInnen) kaum bis gar nicht mehr in der Lage sind, nachzudenken. Das kann daran liegen, dass zu wenig Zeit dafür vorhanden war bzw. ist, oder daran, dass sie ganz einfach dazu (selbstreflektiert und intellektuell) nicht in der Lage sind. In beiden Fällen führt das aber dazu, dass die verantwortlichen Personen auf Gedeih und Verderb den Vor- oder Ratschlägen ihrer Mitarbeiter, Berater oder diversen Gremien ausgeliefert sind, die sie rund um die Uhr umgeben und instruieren ("briefen"). Das mag zwar praktisch erscheinen, hat aber dazu geführt, dass Eigeninitiative und Wille zum selbständigen Denken, losgelöst von Vorgaben Dritter, vollkommen verloren gegangen sind. Man muss hinnehmen, dass MinisterInnen nicht mehr in der Lage sind, sich selbst und persönlich mit Problemen zu beschäftigen, von Vernunft und Hausverstand geleitet nachzudenken und eigeninitiativ tätig zu werden. Es wird nur das wiedergegeben, was Experten oder Berater meinen, die Ansicht der Bevölkerung wird ignoriert, medialer Widerstand wird nicht ernst genommen.

So haftet allen medienwirksam präsentierten Maßnahmen der Makel des Künstlichen an, wird vorgelesen oder nachgeplappert, trägt nichts mehr die Handschrift der vor die Presse tretenden Politakteure. Dadurch fehlt jede Überzeugungskraft und politische Statements erwecken den Anschein grenzenloser Verunsicherung. Dieses öffentliche zur Schau stellen von Meinungen, Lösungsvorschlägen und Strategien "politikfremder Unterweiser" (ob rhetorisch geschliffen oder dahingestolpert ist dabei einerlei) wird von denen, für die die Pressekonferenzen gedacht sind, folglich und völlig zu Recht kritisch hinterfragt, kommentiert und via Print & Social Media der Bevölkerung "anvertraut". Der Vorteil professioneller Qualitätsmedien dabei ist, dass in ihren Redaktionen zumindest der größte Teil der Mitarbeitenden in der Lage ist, klare wie eigene, durchwegs sinnvolle, Gedanken zu "Papier" zu bringen. Diese Fähigkeit haben Politiker längst verloren; sie laufen den Problemen hinterher, getrieben vom wachsenden Unmut der Bevölkerung, dem Unverständnis der Betroffenen, der medialen Aufbereitung und Auseinandersetzung.

In diesem Spannungsfeld zwischen spürbarem politischen Unvermögen und medialer Distanzierung davon, wächst sowohl die Unsicherheit der sich darin befindlichen Bevölkerung als auch das Unverständnis für überwiegend falsche, nur vermeintliche politische Notwendigkeiten, der Widerstand gegen Maßnahmen, letzten Endes das Verweigern des Gehorsams. Verstärkt wird diese Reaktion des "Volkes" noch durch die ohnedies latent vorhandene Politik(er)verdrossenheit.

Ein paar Beispiele aus der letzten Zeit verdeutlichen diese Ausführungen:

  • Am 13.11.2020 hat der Statistiker Erich Neuwirth in der "ZIB 2" u.a. ausgeführt, dass es seit Mitte/Ende Juni 2020 einen durchgehenden Trend gegeben habe, "dass pro Woche ungefähr derselbe Prozentsatz" an Neuinfektionen dazugekommen sei. Spätestens Mitte August 2020 "sei dieser Trend unübersehbar gewesen und habe sich bis heute fortgesetzt". "Wenn man rechtzeitig etwas getan hätte, glaube ich, hätte man es verhindern können". Die Maßnahmen der Bundesregierung (Anfang November) seien daher seiner Ansicht nach zu spät erfolgt. Die Lage sei (dadurch) "sehr, sehr dramatisch".

Jetzt bedient sich das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz einer eigenen Coronavirus Taskforce (bestehend aus MitarbeiterInenn des Ministeriums und einem 17-köpfigen Beraterstab). Man könnte also annehmen, dass diese "Arbeitsgruppe" in der Lage sein müsse, gemeinsam zumindest über ein Wissen zu verfügen, das dem einer einzelnen Person entspricht. Liest man sich allerdings die Sitzungsprotokolle des Beraterstabs der Taskforce Corona durch, nimmt es nicht wunder, dass man den richtigen Zeitpunkt für das Ergreifen von COIVD-19 Maßnahmen übersehen hat. Es ist zwar davon die Rede, dass man sich damit beschäftige, "wie Zahlen ausschauen müssen, dass die Lage kontrolliert bleibe", "diese Krankheit ein explosives Potenzial habe", "dass die "Bremsstrecke" drei Wochen betrage", "es einen Masterplan im Hinblick auf Gegenmaßnahmen brauche". Diese Überlegungen stammen allerdings vom 09.04.2020; seitdem wurde kein Sitzungsprotokoll mehr veröffentlicht - die Frage ist warum?

  • Teile der Bundesregierung (Kurz, Kogler, Nehammer, Raab und Zadić präsentieren anlässlich einer Pressekonferenz (11.11.2020) das Anti-Terror-Paket des Ministerrates. Durch dieses Maßnahmenpaket solle das Bedrohungsrisiko minimiert werden. Nicht nur, dass es sich bei diesem bereits in der legistischen Umsetzung befindlichen Maßnahmen um einen Fall der sog. "Anlassgesetzgebung" handelt, die inhaltlich (auch von Experten) als unkontrolliert, überstürzt und unsystematisch bezeichnet wird, muss man wiederholt zur Kenntnis nehmen, dass sich die zuständigen Minister nicht die Mühe genommen haben zu überprüfen, ob nicht die bereits vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten ausreichen, den eigentlichen Zweck zu erreichen. Reflexartig hört man in diversen Ministerien als Reaktion auf bestimmte Vorfälle den Ruf nach neuen rechtlichen Möglichkeiten, der Neueinführung von (Straf-) Tatbeständen, "innovativen" Szenarien, wie man jetzt der Gefahr des "politischen Islam" gewahr werden könnte.

Dabei übersieht man geflissentlich, dass es dieses "Problem" nicht erst seit dem 02. November 2020, sondern schon seit Jahrzehnten gibt und man bis dato ganz einfach alles unterlassen hat, um eben dasselbe in den Griff zu bekommen. Dabei hätte man in all dieser Zeit ausreichende rechtliche Möglichkeiten an der Hand gehabt, gegen potenzielle "Gefährder" vorzugehen bzw. im Bedarfsfall auch entsprechende legistische Korrekturen vorzunehmen.

Um festzustellen, welche (notwendigen) Maßnahmen bereits auf Basis der derzeitigen Rechtslage möglich sind, bedarf es weder besonderer Fähigkeiten noch eines großen Aufwandes. Mir war es zumindest möglich, binnen weniger Stunden zu wissen, dass nahezu alle im Ministerrat scheinbar "neu erfundenen Instrumente" bereits längst vorhanden sind, es nur einiger kleiner Änderungen bedarf. Man vermeint aber im "Kreis der Regierenden" und deren Berater, das Rad neu erfinden zu müssen. Das dauert nur lange, benötigt viel Zeit und ändert vor allem am Kreis der Ausführenden bzw. Normanwender nichts. Den Bundesministerinnen Zadić (Justiz) und Edtstadler (Verfassung samt Verfassungsdienst(!)) müsste es doch möglich sein, hier, im Bedarfsfall auch persönlich, er(n)ste oder wenigstens ernst zu nehmende Hilfe leisten zu können. Das ist aber offenbar nicht der Fall und zu viel verlangt. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass sich die Ankündigung umfassender neuer Maßnahmen politisch besser verkaufen lässt und so ein effekthascherischer Beitrag zur eigenen Reputation geleistet werden soll.

  • Ein "Dauerbrenner" sind die Vorkommnisse rund um den Kauf bzw. Verkauf von Abfangjägern der Marke Eurofighter "Typhoon". Drei mehr oder weniger ergebnislose Untersuchungsausschüsse, zahlreiche Strafanzeigen, eben so viele Strafeinstellungsbeschlüsse der Gerichte (zuletzt am 11.11.2020), eine blamiert zurück gebliebene Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), an einer Lösung gescheiterte MinisterInnen (Plattner, Darbos, Klug, Doskozil, Tanner), verdächtige Schmiergeldzahlungen und Gegengeschäfte ... all das waren Ingredienzen dieser "Affäre" - gelernt hat man daraus aber nichts. In einer vollkommen, objektiv erkennbaren, ausweglosen Situation hat es Klaudia Tanner sogar zuwege gebracht, Öl ins Feuer zu gießen, indem sie den Airbusmanagern ausgerichtet hat, Airbus werde sie noch kennen lernen.

Scheinbar geht (zumindest in Österreich) die Ernennung zum Bundesminister mit einem kräftigen Anstieg des Selbstwertgefühls der davon Betroffenen einher. In eben demselben Maß nimmt aber offensichtlich auch der, aufgeblasen-selbstherrlich wirkende, Kleingeist zu. Anders ist das, politisch wie diplomatisch als fragwürdig zu bezeichnende, Verhalten von Doskozil, Zadić und Tanner in dieser Causa nicht zu erklären. Wichtigtuerei, Fehleinschätzung oder bloße Unwissenheit könnten weitere Gründe sein.

Heutzutage kann man alle "vollmundigen" Aussagen bzw. Prognosen diverser MinisterInnen jederzeit nachlesen und auf deren Treffsicherheit hin überprüfen. Im Anlassfall ist das ziemlich einfach: Alle drei (Doskozil, Zadić und Tanner) haben sich viel zu weit aus dem Fenster gelehnt und sind dabei einem (großen) Irrtum erlegen. Auch hier trifft das eingangs erwähnte zu: Einfach denken.


Diese Beispiele ließen sich fast beliebig fortsetzen - das ist das eigentlich Traurige an der ganzen Situation. Noch schlimmer ist nur, dass die Protagonisten und Verantwortlichen ihre eigenen Unzulänglichkeiten weder einsehen noch eingestehen oder einfach sagen, dass sie dieses oder jenes ganz einfach falsch gemacht oder eingeschätzt haben. Das führt dazu, dass ihr Auftreten selbstherrlich und herablassend wirkt, und der Eindruck entsteht, sie würden ihre "Untertanen" für dumm verkaufen.

So wird sich der Bundeskanzler der Republik in wenigen Stunden mit traurigem Blick und ernster Miene an das Rednerpult stellen und die dringend erforderlichen neuen COVID-19 Maßnahmen verkünden; mit keinem Wort wird er allerdings erwähnen, dass man das Maßnahmenpaket drei Monate zu spät geschnürt oder einfach darauf vergessen hat. Davon wird man nichts hören. Aber: Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.

Chr. Brugger

14.11.2020