Politik auf österreichisch
Sollte sich wider Erwarten noch jemand die Mühe machen, dem parteipolitischen "Aufplustern" hierzulande seine Aufmerksamkeit zu widmen, müsste man den Hut ziehen; was sich hier vor unser aller Augen abspielt, ist eine tragische Komödie mit reichlich humoristischen Momenten; man hätte, ist unisono zu hören, "ein schweres Erbe" angetreten – vom "Erblasser", der in diesem Fall nicht "verstorben" ist, soll aber nicht mehr die Rede sein, man wolle nicht zurück, sondern nach vorne blicken.

Quelle: https://www.nachrichten.at/politik/innenpolitik/regierungsklausur-die-suche-nach-dem-weg-aus-dem-jammertal;art385,4081621
Blöd ist nur, dass der "Erblasser" bei der Nachlassverwaltung "mit von der Partie" ist – die ÖVP war federführend dafür verantwortlich, dass wir bei allen maßgeblichen Kennzahlen nicht bloß ins Hintertreffen geraten sind; vielmehr ist es so, dass wir in vielerlei Belangen als Schlusslicht Europas gleichsam die "rote Laterne" mit uns herumtragen und sie nicht mehr loswerden.
Insofern ist es durchaus erwähnenswert, dass in den letzten Tagen just ein paar "Sargnägel" der heimischen Wirtschaft, Ex-Finanzministrant Gernot Blümel und Ex-Wirtschaftsministrant Martin Kocher mit reichlich merkwürdigen Meldungen auf sich aufmerksam gemacht haben.

Quelle: https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/kocher-fordert-ende-des-österreich-aufschlags/ar
Martin Kocher, neuerdings Gouverneur der heimischen Nationalbank, befürwortet mittlerweile die "Abschaffung des Österreich-Aufschlages in Supermärkten" – jenen Aufschlag, der seit mehreren Jahrzehnten allen bekannt ist und gegen den man nie etwas unternommen hat; jetzt, wo das Feuer am Dach lodert, verfällt man panikartig der Idee, bei der EU-Kommission vorstellig zu werden, um etwas zu bewirken – Jahrzehnte zu spät und auf eine Weise, die zeitnahe keinen Erfolg zeitigen wird.
Kocher war aber immerhin mehr als 4 Jahre Bundesminister, hat es aber während seiner Amtszeit nicht der Mühe wert gefunden, sich mit dem Thema "Österreich-Aufschlag" zu beschäftigen.
Besonders "lustig" gibt sich Gernot Blümel; der meint im gestrigen "Sommer(nach)gespräch" flapsig, "na ja, zum Glück haben wir bei der Inflation das Schlimmste schon überwunden"; das ist mitnichten der Fall, im letzten Monat ist die Inflation immerhin um 0,5 Prozentpunkte von 3,6 auf 4,1% gestiegen – Tendenz steigend.

Quelle: https://www.vienna.at/das-war-die-politik-karriere-von-gernot-bluemel/7216207
Noch viel dümmlicher waren hingegen seine "profunden" Ergüsse zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): Es komme, so Blümel, auf eine andere, namentlich authentische Interpretation der EMRK an – für die Änderung der EMRK bräuchte es Einstimmigkeit im Europarat und die sei schwerer herzustellen als eine authentische Interpretation, die teilweise auch durch Gesetze auf nationaler Ebene hergestellt werden könne.
Beim Thema "authentische Interpretation" gibt Blümel unumwunden zu erkennen, wie ahnungslos er ist: Eine "authentische Interpretation" kann nur durch den jeweilige "Gesetzgeber" erfolgen und ist insofern gar keine Interpretationsmethode, sondern ein Akt der Rechtssetzung; wenn also die EMRK im Sinne Blümels "authentisch" interpretiert werden soll, müsste der europäische Gesetzgeber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte das gesetzlich vorschreiben; Gesetze auf nationaler Ebene wären dabei jedenfalls ohne Belang.

Quelle: https://tv.orf.at/program/orf3/sommernach638.html
Solche Grundkenntnisse lernt jeder Jusstudent im ersten Semester; beim gestrigen ORF-Gesprächskreis war aber scheinbar niemand in der Lage, Blümels Aussagen in Frage zu stellen – das zeugt von der immensen Kompetenz der anwesenden Diskutanten samt Moderatorin.
Aber auch das ist eben Österreich – jeder kann sagen und behaupten, was er will, auch wenn es noch so falsch ist; ob das allerdings etwas mit Meinungsäußerungsfreiheit zu tun hat, darf bezweifelt werden.
Chr. Brugger
02/09/2025