Rien ne va plus

13.11.2020

Diese, dem Glücksspiel entnommene, Wortfolge gilt für die österreichische Bundesregierung in zweifacher Weise; zum einen hat es den Anschein, es ginge nichts mehr; zum anderen kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass das Handeln der BundesministerInnen (im Kollektiv oder einzeln ist dabei einerlei) nach und nach einer Kugel im Roulettekessel gleich; für niemanden ist absehbar, in welchen Zahlenfächer sie fällt bzw. wie, wofür und aus welchen Gründen sich die Regierungsmitglieder für das eine oder andere oder, das ist das Schlimmste, gar nicht entscheiden.

Man kann seit Sommer 2020 fast täglich mitansehen, wie die Regierungstätigkeit nach und nach zur Farce verkommt, man Probleme entweder links liegen lässt oder viel zu spät erkennt bzw. dann auch noch vollkommen falsch reagiert. Vorbereitung oder zumindest antizipative Überlegungen sind scheinbar unbekannt; man nimmt in Kauf, andauernd hinterher zu hinken, sich anhaltend rechtfertigen zu müssen; der Erklärungsnotstand wird immer größer, die Fragen von Öffentlichkeit und Medien nicht weniger. Nach und nach gewinnt sogar die, wahrlich nicht als lästig zu bezeichnende, Opposition an Terrain.

Ob die Bundesregierung noch handlungsunfähig ist oder nicht, mögen andere beurteilen; klar ist aber, dass sie sich mittlerweile in einer durchaus beachtenswerten Krise befindet und Aussicht auf Besserung weit und breit nicht in Sicht ist.

Für einen guten Teil dieser Krise ist zwar auch die österreichische Bevölkerung verantwortlich, die scheinbar für Krisenzeiten das "Florianiprinzip" zum (Über-) Lebensdogma erhoben hat. Das gerade in solchen Zeiten so dringend erforderliche gesamtgesellschaftliche Interesse und Denken ist von der individuellen Realität so weit entfernt wie der Mond von der Sonne. Es hat den Anschein, als hätte der überwiegende Teil der Bevölkerung das kleine Einmalseins der Selbstverständlichkeiten nie gelernt; anders ist das systemresistente Verhalten nicht mehr zu erklären. Für alles was lästig und mühsam ist, hat der Staat zu sorgen. Dazu zählen neben Umwelt- und Klimaschutz beispielsweise auch Integration, Bildung, Kinderbetreuung, ein ideologiebefreiter Umgang mit politisch oder religiös Andersdenkenden, der Umgang mit Randgruppen unserer Gesellschaft etc..

Diese grundlegend falsche Einstellung und das damit korrespondierende Verhalten exkulpiert aber keinesfalls die politisch Verantwortlichen.

Dafür, dass sie das "Staatsschiff" auch in unruhigen Zeiten auf Kurs halten, sind sie gewählt bzw. bestellt, dafür werden sie auch bezahlt. Nur verdichtet sich, gleich dem Herbstnebel, der Verdacht, dass ein großer Teil der Mitglieder im Kabinett Kurz II nicht (mehr) in der Lage ist, die ihnen übertragenen Aufgaben so wahrzunehmen, wie man das erwartet.

Alte, gebräuchliche Muster und Vorgangsweisen funktionieren nicht mehr; Ablenkung und Versteckspiel, markige Ansagen ohne entsprechende Maßnahmen, viel reden und nichts sagen ... all das (und noch viel mehr) funktioniert nicht mehr so wie gewünscht und bekannt. Die Öffentlichkeit erwartet klare Ansagen und keine vagen Botschaften, unverzügliche Entscheidungen und kein langes auf die Bank schieben. Es gibt jedenfalls keine Analytik, sondern bestenfalls unsichere Diagnosen; es gibt keine Lösungen, sondern bestenfalls ein paar flapsige Kommentare.

War es für die Regierung bzw. zumindest einige Mitglieder davon im Frühjahr noch möglich, die Bevölkerung durch vorausschauendes Handeln von der Plausibilität ihrer Maßnahmen zu überzeugen, so hat heute die (mediale) Öffentlichkeit das Heft des Handelns übernommen und treibt die MinisterInnenen mit Forderungen aller Art, offen ausgesprochenem Unverständnis und Ablehnung vor sich her. Für Kurz & Co ist der Handlungsspielraum so eng geworden, dass man in den Ministerien offensichtlich in eine Art Schockstarre oder unruhigen Dornröschenschlaf verfallen ist, nichts mehr oder viel zu spät und falsch entscheidet. Die Folge ist ein chaotisch wirkendes Krisenmanagement, das niemand mehr versteht; es mangelt, quasi reflexartig, am erforderlichen Verständnis und der notwendigen Akzeptanz.

Bei den COVID-19 Maßnahmen, dem Attentat vom 02.11.2020 aber auch auf zahlreichen anderen Nebenschauplätzen (BVT-Untersuchungskommission samt BVT-Reform; Maßnahmenkatalog zur Terrorismusbekämpfung; Antiterrorismusstaatsanwaltschaft; Institutionalisierung einer Dokumentationsstelle politischer Islam mit "fragwürdigen" Mitgliedern; Ibiza-Untersuchungsausschuss; Commerzialbank Mattersburg im Burgenland AG-Untersuchungsausschuss, AUA-Sanierung; Dauerthema Eurofighter etc.) hat man unter Beweis gestellt, wie wenig durchdacht eben Vorschläge sein können, wie wenig man nachdenkt, bevor man an die Öffentlichkeit tritt und diese mit Entscheidungen konfrontiert von denen man allen Ernstes auch noch annimmt, dass man Verständnis dafür hat.

In der Regierung selbst gibt zwar - nach außen hin - immer noch Kurz den Ton an; umsetzen müssen diese gewagten und überwiegend sinnentfremdeten Ansagen aber die Mitglieder seines Kabinetts; da gibt es aber einige, denen nie und nimmer zuzutrauen ist, sie würden noch etwas bewegen oder zum Besseren verändern können.

Paradigmatisch für diesen Teil der Regierung sind vor allem Alma Zadić, Susanne Raab, Klaudia Tanner, Karl Nehammer, Gernot Blümel, Heinz Faßmann und Karoline Edtstadler. Sie alle haben mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie mit ihrem Amt hilflos überfordert, den zu erledigenden Aufgaben keinesfalls gewachsen sind. Allesamt sind nicht in der Lage, transparente und nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen; ihre Amtssprache ist das nichtssagende, inhaltlose Meandern; heute so, morgen so, dann ist wieder alles anders. Sie wissen und das weithin sichtbar nicht was sie tun und reden, im Sinne von Gerhard Hauptmanns Loth im Stück "Vor Sonnenaufgang", "wie der Blinde von der Farbe".

Kurz selbst hat bereits fast alles von seinem anfänglichen "Charisma" verloren; für die Auswahl bzw. Zusammenstellung seiner Regierungsriege ist er jedenfalls allein verantwortlich. Insofern trifft ihn auch das Auswahlverschulden. Mit solchen Regierungsmitgliedern ist jedenfalls, im wahrsten Sinn des Wortes, kein Staat zu machen.

Chr. Brugger

13.11.2020