Schönschreiben & Betragen

08.07.2025

Die gute, alte österreichische Tradition, anlässlich des Ferienbeginns von SchülerInnen auch die Regierung notenmäßig zu beurteilen, bringt es mit sich, dass sich – zumindest in der Politik – die zu Beurteilenden auch selbst ein "Zeugnis" ausstellen; würde das auch SchülerInnen in den Sinn kommen, attestierten ihnen ihre Lehrer Größenwahn oder Selbstanmaßung; im heimischen Politbetrieb ist eine solche "Selbsteinschätzung" aber durchaus üblich.

Die Bilanz der ersten vier Monate sei jedenfalls herzeigbar meint Christian Stocker, Chef der türkis-rot-pinken Schicksalsgemeinschaft; der SPÖ-Capo Andreas Babler gibt sich und seinen "Genossen" ein "Gut", wobei er als Betragensnote für den Umgangsstil sogar ein "Ausgezeichnet" reklamiert; Beate Meinl-Reisinger, Chefin der NEOS, hob hervor, man habe zumindest "den Reformmotor gestartet".

Quelle: https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/19390410/comeback-der-dreierkoalition-eine-schwere-geburt

In Summe hat es den Anschein, als wäre das "Kabinett Stocker" mit den erbrachten Leistungen durchaus zufrieden; das dürfte also, ins "Schulische" übersetzt, den Aufstieg in die nächste Klasse bedeuten.

Nicht nur vor dem Hintergrund des Gastkommentars von Armin Thurnher und Michael Fleischhacker in der "Kleinen Zeitung" vom 06.07.2025 ("Zeugnistag für die Regierung: Reicht eine gute Betragensnote?") hat man sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein mehr oder minder friktionsfreies Miteinander ausreicht, um positiv bilanzieren und sich damit selbst eine Klasse höher wähnen zu können.

Was Thurnher und Fleischhacker, ebenso amüsant wie brillant und recht geistreich kommentieren, führt zu "des Pudels Kern": Selbst mit Bestnoten in den Kategorien "Schönschreiben" und "Betragen" kann das Klassenziel nicht erreicht werden; wer nicht rechnen, sinnerfassend lesen und fehlerfrei schreiben kann, wem Englisch laufend Spanisch vorkommt und sprachliche Defizite zu attestieren sind, kann – bei allem Verständnis für sein ansonsten einwandfreies Verhalten – nicht bestehen; bloß, mit "schönem Schreiben" und "smartem Auftreten" ist weder "ein Krieg" zu gewinnen noch politisch etwas zu erreichen.

Quelle: https://www.dermaerz.at/machtpolitik-wie-gut-haben-oevp-spoe-neos-verhandelt/

Beurteilte man daher unsere "Regierung" nach ihrer, wie Thurnher das nennt, "Anmutung" und verzichtete auf "Fachnoten", um sie, was wiederum Fleischhacker moniert, nur mit dem Maß der "äußeren Form der sprachlichen Arbeit" zu messen, befänden wir uns zwangsläufig auf dem soziologischen Spielfeld sich selbst erschaffender wie erhaltender Systeme der Kommunikation, die sich naturgemäß jeder äußeren Einflussnahme entziehen und deren einziger Sinn jedenfalls darin besteht, Komplexität hintanzuhalten und jede Kritik am eigenen, nur auf sich selbst bezogenen, Systemstandpunkt zu verhindern.

Gerade diese Selbstbezüglichkeit oder Selbstreferenzialität ist es aber, die der von Thurnher ins Spiel gebrachte Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann in seiner "Ökologischen Kommunikation" als "System" entlarvt, dessen autopoietischer Zusammenhang sich durch Einschränkung der Kommunikation gegen alles andere abgrenzt und sich damit gleichzeitig auch über alles andere erhöht.

Quelle: https://www.diepresse.com/19702106/jj-im-kanzleramt-eine-historische-dimension

Nun soll sich naturgemäß jeder Leser sein eigenes Bild malen; wem das türkis-rot-pinke Blasen-Geplapper genügt, dem sei verziehen; wer sich aber mit der gefälligen Selbstzuschreibung nicht zufriedengeben will, sollte sich zumindest an eine alte Binsenweisheit erinnern – Selbstlob stinkt … und wenn sich dieses Selbstlob dazu auch noch bloß auf die "äußere Form der sprachlichen Arbeit" reduziert, sollte die Frage nach der eigentlich entscheidenden, fachlichen Kompetenz nicht unbeantwortet bleiben.

Quelle: https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/19411112/eibinger-miedl-wird-wohl-staatssekretaerin-oevp-praesentiert

Über die fachliche Kompetenz der einzelnen Mitglieder des "Kabinettes Stocker" ließe sich aber zumindest trefflich streiten und es ist mehr als fraglich, ob tatsächlich alle Kabinettsmitglieder das "Zeug" für die nächste Schulstufe haben; bei manchen liegt zumindest der Verdacht nahe, sie wären in einem sonderpädagogischen Zentrum erheblich besser aufgehoben als in der 2. Klasse einer Volksschule.

Chr. Brugger

08/07/2025