Van der Bellen und die „Sperrstunde“

31.05.2020

Viel wurde in den letzten Tagen über die vermeintliche Übertretung der ministeriellen Verordnung betreffend das Gastgewerbe durch den Bundespräsidenten diskutiert (207. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die COVID-19-Lockerungsverordnung geändert wird).

Nun vertritt die Harisch & Partner Rechtsanwälte GmbH die Rechtsansicht, unser Staatsoberhaupt hätte gar keine Verwaltungsübertretung begangen (nachzulesen unter https://www.derstandard.at/story/2000117791986/van-der-bellen-duerfte-sperrstunde-gar-nicht-verletzt-haben).

Die zur Beurteilung der Rechtslage maßgebliche Regelung in der genannten Verordnung des Gesundheitsministers lautet:


§ 6.

(1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen zulässig.

(2) Der Betreiber darf das Betreten der Betriebsstätte für Kunden nur im Zeitraum zwischen 06.00 und 23.00 Uhr zulassen. Restriktivere Sperrstunden und Aufsperrstunden aufgrund anderer Rechtsvorschriften bleiben unberührt.


Ein Betreten der Betriebsstätte ist demgemäß ausschließlich zwischen 06.00 und 23.00 Uhr zulässig. Restriktivere Sperrstunden aufgrund anderer Vorschriften bleiben davon, expressis verbis, unberührt. Damit ist klar, dass die Sperrzeitenverordnung 1998 des Landeshauptmannes von Wien (in ihrer aktuellen Fassung) nach wie vor anzuwenden ist, von der geänderten COVID-19 Lockerungsverordnung des Gesundheitsministers ausdrücklich "unberührt" geblieben ist (Sperrzeit gem. Sperrzeitenverordnung: 02.00 Uhr).

Wollte man mit der Änderung der COVID-19 Lockerungsverordnung ausdrücklich auch die Sperrstunden regeln, hätte man das im zuständigen Ministerium sicherlich auch getan; dafür wäre es aber - wohl oder übel - erforderlich gewesen, die maßgebliche Rechtsgrundlage dafür (§ 113 Gewerbeordnung 1994) zu ändern, die für Sperr- und Aufsperrstunden explizit eine Verordnungsbefugnis der Landeshauptleute vorsieht. Man hat sich aber mit einer Reglementierung des Betretungszeitraumes beschieden.

Damit ist auch klar, dass Van der Bellen & Co nicht gegen die 207. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die COVID-19-Lockerungsverordnung geändert wird, verstoßen haben (es sei denn, Van der Bellen bzw. seine Ehegattin oder deren Gäste hätten das Gasthaus in der Zeit nach 23.00 Uhr des Vortages, oder vor 06.00 Uhr morgens betreten).


Chr. Brugger

31.05.2020