Ein Eignungstest für Politiker
Die Partei BIER fordert in ihrem Wahlprogramm für die Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen 2020 u.a. einen Eignungstest für Politiker. Dass es sich dabei um eine ernst gemeinte wie plausible Forderung handelt (warum soll jede/r, nur weil es ihm/ihr in den Sinn kommt, Politiker werden können) müsste man sich, möglichst zeitnah, darüber Gedanken machen, welcher Voraussetzungen jemand bedarf, um ein politisches Amt innehaben zu dürfen.
Mit ein Grund dafür, dass die Zufriedenheit der Allgemeinheit bzw. desjenigen Teiles der Bevölkerung, der bereits bislang wählen durfte, mit Politikern im Sinkflug begriffen ist, kann möglicherweise auch darauf zurückzuführen sein, dass es einen solchen Eignungstest bislang nicht gab und folglich (nach wie vor) ungeeignete bzw. ungetestete Politiker Ämter innehaben.
Da man mit der Einführung von solchen Tests absolutes Neuland beträte, müsse man die bislang handelnden Politiker, im Wege eine Generalamnestie, von allem befreien, was sie sich zu Schulden kommen ließen, falsch gemacht oder sonst "verbrochen" haben; dies unter der Voraussetzung, dass sich all diejenigen (amtierenden) Politiker binnen vierzehn Tagen dem (noch zu erstellenden) Eignungstest unterziehen und diesen positiv absolvieren.
Um die Durchfallquote einiger Maßen gering zu halten, darf das Qualitätsniveau dabei jedenfalls nicht allzu hoch angesiedelt sein (man liefe ansonsten Gefahr, politische Ämter nicht mehr (nach-) besetzen zu können bzw. die Anzahl derselben reduzieren zu müssen).
Eine Grundvoraussetzung müssen mE Politiker in jedem Fall erfüllen (das hat uns die Geschichte der zweiten Republik gelernt bzw. gelehrt): Eine Haftpflichtversicherung für die Dauer der jeweiligen Amtsperiode zumindest in der Höhe eines Betrages, der das zu verwaltende Budget um das zwanzigfache übersteigt).
Das klingt möglicherweise kompliziert, ist aber einfach zu erklären: Hat beispielsweise der Bürgermeister von XY ein Budget von einer halben Milliarde Euro verantwortend zu verwalten, muss die Höhe der dazu korrespondierenden Haftpflichtversicherungssumme mehr als zehn Milliarden Euro betragen; die Kosten dafür hat dabei der sich der Wahl stellende Aspirant selbstredend aus Eigenem zu übernehmen. "Schaden(!)-Fälle" aus den letzten Jahren haben klar verdeutlicht, dass es ohne entsprechende Versicherung kein vernünftiges Politisieren mehr geben kann; mit der umfänglich beschriebenen Versicherung im Hintergrund ließe es sich viel einfacher "wirtschaften".
Damit wäre gewährleistet, dass Politiker für ihr Fehlverhalten (leichte Fahrlässigkeit inklusive) nicht mehr persönlich zur Verantwortung gezogen werden müssen und der Bevölkerung kein (indirekter) Schade mehr entstehen kann; das Vorliegen einer solchen Versicherung hat der jeweilige Politiker spätestens am Tag vor seiner offiziellen Kandidatur in Schriftform nachzuweisen.
Dasselbe gilt (natürlich) auch für kollektiv handelnde "Organe" wie Gemeinderäte, Stadtsenate, Landtage, Bundes- und Nationalrat und - allen voran - für Landesregierungen sowie die Bundesregierung.
Bereits an dieser Stelle wird man die ersten Einwände vernehmen: Dann könnten sich nur noch betuchte Menschen das Politikerdasein leisten, es käme, ob dieser Einstiegshürde, zu einer Plutokratie, einer "Regierungsform", in der Vermögen die entscheidende Rolle für die Teilnahme an "Herrschaft" wäre.
Dieses Argument ist allerdings falsch: Bereits heutzutage sind "Regierende" (nicht nur im heimatlichen Österreich) von Wirtschaftsbossen, Lobbyisten und sonstigen, reichen wie namhaften, Personen abhängig, ihnen allenthalben zu bestimmten "Diensten" verpflichtet; auch die bereits sehr stark ausgeprägte soziale Ungleichheit wird durch diese unseriöse Gemengelage immer größer, der Staat als solcher eigennützig von anderen manipulierend missbraucht (wenn auch unter dem Deckmäntelchen demokratisch-republikanischer Heuchelei, mit dem immer inflationärer werdenden Slogan "das Recht ginge immer noch vom Volke aus" am Revers).
Die politischen Akteure werden heutzutage, quasi am Gängelband der eben Erwähnten, durch die legislativen, exekutiven und judikativen Instanzen gezogen; deduzierend formuliert ist der begründete Verdacht zulässig, dass hier "der Schwanz mit dem Hund wedelt", nicht (wie man meinen könnte) umgekehrt.
Selbst wenn dabei die wedelnden "Schwänze" die Versicherungsprämie ihrer vermeintlichen "Besitzer" bezahlen würden, wäre das zwar strafrechtlich bedenklich, gereichte aber niemals dem Wahlvolk zum Nachteil.
Was wären also notwendige Ingredienzien für einen erfolgversprechenden Politikercocktail?
Hochmut kommt zwar, sprichwörtlich, vor dem Fall, ein Schuss Arroganz schadet aber in keinem Fall; das unrealistische Überschätzen der eigenen Fähigkeiten schafft eine schützende Aura aus Elitärem wie Außergewöhnlichem, ein bestimmtes Maß des über den Dingen Stehens. Das wirkt auf die durchschnittlichen Wähler, der dieses Auftreten ohnedies kaum hinterfragt, nicht abstoßend, sondern eher anziehend. Anmaßung ist zwar keine Tugend, dafür eine sehr leicht einzunehmende Position.
Bildung spielt, wie man gemeinhin vermuten könnte, absolut keine Rolle, stellt sogar eher einen Nachteil dar; wer zu gebildet ist und noch dazu so wirkt, verliert für das Volk die "Bodenhaftung" das "erdige" Vertrauen darin, der zu Wählende sei (noch) ein Teil von und auf Augenhöhe mit ihnen.
Dazu kommt ein gerütteltes Maß an variabler Eloquenz, also der Fähigkeit (je nach dem zu wem bzw. mit wem man spricht), auf eine situationselastische Sprache zurückgreifen, sich darauf verlassen zu können; man muss "der Masse nach dem Maul reden".
Wesentlicher Bestandteil der "Mixtur" ist daneben und unabdingbar, nie die Wahrheit zu sagen, es mit eben derselben nicht allzu ernst zu nehmen und dazu, zumindest wissentlich, sogar nicht zu lügen. "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar" diagnostizierte Ingeborg Bachmann; die Wahrheit tut gleichzeitig aber auch manchmal sehr weh. Diesen sportlich-rhythmischen Spagat im "unverbindlichen Niemandsland" muss jeder angehende Politiker traumwandlerisch sicher beherrschen. Gerät jedoch das "Notlügenkonglomerat" einmal aus dem laufend anzustrebenden Gleichgewicht, gibt es ein sehr nützliches Hilfsmittelchen, dessen sich u.a. auch der viel zu früh verstorbene Landeshauptmann von Kärnten, Jörg Haider, bedient hat: Der von Niccolo Machiavelli als politisches Machterhaltungsinstrument weiterentwickelte Rechtsgrundsatz der "clausula rebus sic stantibus". Immer dann, wenn sich die Grundlagen für eine Aussage und/oder Entscheidung (wenn auch nur leicht) verändert haben, ist man an die getätigte Aussage bzw. die getroffene Entscheidung nicht mehr gebunden. Mit diesem, leicht herzustellenden, Hausmittel kann man beinahe jede politisch ins Gewicht fallende Fehlleistung korrigieren, in einem anderen Licht darstellen bzw. unbemerkt und wohlbegründet erscheinen lassen.
Dann kommt eine Portion Jovialität hinzu, ein leutseliges, wohlwollend wirkendes, gönnerhaft anmutendes Verhalten, das über die tatsächlichen Absichten hinwegzutäuschen hilft.
Um dem Ganzen bereits in dieser Phase mehr Farbe zu geben, benötigte man spontan ein üppiges Portfolio an Problemlösungskompetenz. Da es sich dabei um ein äußerst rares, schwer auffindbares, Element handelt, muss es durch ein Surrogat ersetzt werden: Die künstliche Transformation auf eine andere Problemlösungsinstanz. Ist man (was sehr häufig der Fall ist) der eigenen Probleme nicht mehr gewahr, verlagert man diese auf die nächst höherer Ebene; anders formuliert: Man bläst das Problem künstlich so groß auf, redet so lange darüber, dass man irgendwann im eigenen Wald die Bäume nicht mehr sieht. Dann ist es an der Zeit, das Problem, hierarchisch betrachtet, der nächst höheren Instanz zuzuweisen, diese für die Lösung verantwortlich zu machen, weil man es allein nicht mehr lösen kann. So wird z.B. aus einem bundeslandinternen Problem ein österreichisches, aus einem Österreichischen ein Europäisches, aus einem Europäischen ein globales - globale Probleme sind dann zwar gemeinhin unlösbar (Stichwort: Klimaschutz); dafür ist man aber auf den unteren Ebenen nicht mehr daran schuld bzw. dafür verantwortlich, dass das Problem nicht gelöst werden kann.
Die damit (mangels Problemlösungskompetenz) fehlende Farbe ersetzt man am besten mit reichlich Lokalkolorit in Form von laufend anhaltenden Schimpftiraden gegen die als lahm und zäh titulierten Entscheidungsprozesse im fernen Brüssel bzw. mit den ausbleibenden Resultaten internationaler Konferenzen, für die dann das restriktiv provokant ablehnende Verhalten Chinas, Russlands, Brasiliens oder der USA verantwortlich sind, jedenfalls nie man selbst; wir wollten ja und durften nicht, schuld sind immer die anderen.
Was ebenfalls nicht fehlen darf ist beharrliches Festhalten an eigenen Ansichten (auch wenn sie falsch sein mögen), das sture Vertreten von (auch nicht nachvollziehbaren) Standpunkten und in diesem Zusammenhang auch das anhaltend vermittelte Gefühl, ohnedies immer alles besser zu wissen.
Noch aber ist der Cocktail nicht ganz fertigt; es fehlen noch zwei wesentliche Bestandteile: Crash Eis und ein Gartenschlauch.
Selbst der kleinste Dorfkaiser gibt sich (immer) staatsmännisch, verbindlich-unverbindlich, redet viel, sagt dennoch nichts, weicht allen Fragen geschickt aus, kann vorgeschriebene Text mehr oder minder fehlerfrei lesen und weiß, wann er wo aufzutreten hat (das alles gilt übrigens auch für die anderen politischen Ebenen Österreichs). Wer über all diese Tugenden bzw. Fähigkeiten verfügt, ist vom ersten Auftritt auf der politischen Bühne nicht mehr allzu weit entfernt.
Er bzw. sie braucht dann nur noch einen Gartenschlauch: Nein, nicht dazu, um das angerichtete Gesöff möglichst schnell in sich hinein zu bringen, sich zu verinnerlichen; diese Beigabe ist sinnbildlich zu verstehen: Jeder Politiker benötigt natürlich auch ein Rückgrat und das muss ebenso biegsam sein wie ein biederer Gartenschlauch. Am Vorhandensein eines solchen wird es aber wohl nicht scheitern (den kann man, heutzutage am besten via Versandhandel, relativ einfach und kostengünstig erwerben).
Wer also meint, alle beschriebenen Voraussetzungen zu erfüllen (incl. entsprechender Versicherung), der kann sich künftig in Österreich für ein politisches Amt bewerben. Bereits Anfang nächster Woche sollen bei einer außerordentlich-außergewöhnlichen Klausur im Bundeskanzleramt die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein eigenes, bisher nie dagewesenes, "Wahlbewerbungskompetenzprüfungsgesetz (WBKPG 2020) besprochen und erarbeitet werden. Geleitet wird diese Klausur, dem Vernehmen nach, vorerst von der für Verfassung zuständigen Ministerin im Kanzleramt (unter der Obhut bzw. Schirmherrschaft des noch amtierenden Bundeskanzlers der Republik Österreich). Ein erster Entwurf wird bereits gegen Ende des Jahres 2120 (kein Tippfehler oder Ziffernsturz) erwartet.
Chr. Brugger
25.09.2020