Wozu brauchen wir das BVT?

04.11.2020

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hätte an und für sich wichtige sicherheitspolizeiliche Funktionen wahrzunehmen; das BVT ist dabei direkt der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit beim Bundesministerium für Inneres unterstellt.

Zu den Kernaufgaben des BVT zählt u.a. die Bekämpfung extremistischer und terroristischer Phänomene, Lagebeurteilungen und Gefährdungseinschätzungen durch die Analyseeinheit, das präventive Erkennen potenzieller Gefahren bzw. die rasche und flexible Reduktion von Gefährdungen.

Der Abteilung 2 käme dabei die Aufgabe zu, Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren in den Bereichen der politisch oder extremistisch motivierten Kriminalitätsfelder Extremismus, Terrorismus etc., jedenfalls aber auch Präventivmaßnahmen zu ergreifen.

Spätestens seit dem Jahr 2014 (Innenministerin Mag. Johanna Mikl-Leitner) wird in allen seit damals erschienen Verfassungsschutzberichten auf das terroristische Bedrohungspotenzial des islamistischen Extremismus und Terrorismus hingewiesen; beispielhaft sei aus dem Verfassungsschutzbericht 2018 (Innenminister Dr. Wolfgang Peschorn) zitiert:
"Für Österreich geht die größte Bedrohung unverändert vom islamistischen Extremismus und Terrorismus aus. Zwar kehrten bislang weniger Jihad-Reisende (Foreign Terrorist Fighters, FTF) nach Österreich zurück als erwartet, dennoch stellt diese Gruppe der sogenannten "Rückkehrer" ein erhebliches, schwer kalkulierbares Gefahrenpotenzial für die innere Sicherheit dar. Aber auch von radikalisierten Kleinstgruppen oder Einzeltätern ("lone actors") aus dem sogenannten "Home-grown-Extremismus" geht ein beträchtliches Bedrohungspotenzial im Sinne von wenig elaborierten Anschlägen mit Hieb-, Stich- oder Schusswaffen sowie Kraftfahrzeugen aus. Weitere sicherheits- und sozialpolitische Herausforderungen bestehen angesichts der derzeitigen territorialen Auflösung des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) in der möglichen Schleusung von Jihadisten im Zuge der Migrationsbewegungen nach Europa und in der nachhaltigen Reintegration von Frauen und Kindern aus jihadistischen Kriegs- und Krisengebieten in die österreichische Gesellschaft (siehe dazu den Fachbeitrag "Frauen im Zusammenhang mit dem Phänomen der Foreign Terrorist Fighters")".

Zumindest allen Innenministern seit 2014 (von Mickl-Leitner über Sobotka, Kickl, Ratz, Peschorn bis Nehammer) sowie den entsprechenden Generaldirektoren für die öffentliche Sicherheit musste der Inhalt dieser Verfassungsschutzberichte hinlänglich bekannt sein; damit auch, dass die größte Bedrohung unverändert vom islamistischen Extremismus und Terrorismus ausgeht.

Vor dem Hintergrund des "Werdeganges" des Attentäters Kujtim Fejzulai könnte man die Frage in den Raum stellen, was das BVT seit Dezember 2019 (vorzeitige bedingte Haftentlassung) unternommen hat, um sicherzustellen, dass sich der 20-jährige Österreicher nicht wieder radikalisiert hat.

Ein Blick auf die Facebook-Seite von Fejzulai hätte bereits ausgereicht, um festzustellen, dass die "Deradikalisierung" bzw. das Resozialisierungsprogramm in allen Belangen versagt hat. Wäre man zumindest den Hinweisen der slowakischen Sicherheitsbehörden nachgegangen, wonach Fejzulai versucht hat, im Nachbarland Munition käuflich zu erwerben, dann wäre man allenfalls auf die Idee gekommen, den Attentäter etwas genauer "unter die Lupe" zu nehmen.

Durch eine der beiden Maßnahmen wäre das Attentat vom 02.11.2020 jedenfalls zu verhindern gewesen; das BVT hat es aber offensichtlich nicht der Mühe wert gefunden, irgendetwas zu unternehmen. Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit hat zumindest bis gestern (ebenso wie Innenminister Nehammer) die völlig krude Meinung vertreten, der Täter habe sich auch nach seiner Entlassung in den Händen der Justiz befunden bzw. sei diese für ihn zuständig und verantwortlich gewesen.

Wofür benötigt man bei so viel Ignoranz dann ein eigenes Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung? 

Für rechtswidrige Abhörmaßnahmen? Für das anhaltende Beobachten innenpolitisch Andersdenkender? Offenbar nur nicht für den eigentlichen Zweck, die Terrorismusbekämpfung.

Verantwortlich sind lt. Nehammer und Ruf ohnedies alle anderen, nur sie selbst nicht. Zuerst war es die Justiz, dann der ehemalige Innenminister Kickl, nunmehr, so scheint es, sind es Kommunikationsprobleme.

Unschuldige Menschen mussten sterben bzw. liegen verletzt im Krankenhaus; das BVT bzw. die zuständigen Behördenleiter Nehammer und Ruf sind mitverantwortlich bzw. sogar mitschuldig; sie haben scheinbar das BVT nicht im Griff bzw. keinerlei Kenntnis davon, dass eben dasselbe bei der Terrorismusbekämpfung seit Jahren schläft; aber auch Unwissenheit schützte nicht vor Mitverantwortung bzw. Mitschuld.

Rücktrittsreif sind beide allemal. Sie sind eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Chr. Brugger

04/11/2020