Zum Demokratieverständnis eines echten „Demokraten“

29.01.2023

Am frühen Abend des 09.10. des Vorjahres war klar, dass Alexander Van der Bellen für weitere 6 Jahre Bundespräsidenten der Republik würde.

Bereits einige Tage später, am 22.10.2022, sah sich BP VdB veranlasst, in einem ersten Statement (nach der Wiederwahl) dem österreichischen Volk Auskunft darüber zu geben, dass die Demokratie und das Vertrauen in eben dieselbe einmal mehr massiv erschüttert worden wäre; "viele Menschen wenden sich mit Schaudern von der Politik ab" meinte VdB, und er könne das verstehen; "auch ich sehe, was passiert und denke mir, das darf doch alles nicht wahr sein".

Quelle: https://www.bak.gv.at/downloads/start.aspx

"Das, was zum Korruptionsthema wieder öffentlich wurde, ist (...) ein massiver Schaden, der an die Substanz unserer Demokratie geht. Wir brauchen eine Generalsanierung, eine Sanierung der Substanz und selbstverständlich ist es meine Pflicht, dass das auch passiert".

Jede Form der Freunderlwirtschaft und der Korruption lehne er zutiefst ab; "die, die es sich richten können, bekämen die besten Jobs, die die scheinbar die richtigen Kontakte haben".

Nachdem VdB Kanzler Nehammer dann ausgerichtet hatte, dass sich mutmaßlich korrupte ÖVP-Politiker nicht hinter der Unschuldsvermutung verstecken könnten, folgt diejenige Passage, die im Kontext der aktuellen Äußerungen des knapp Achtzig(!)jährigen, geradezu absurd erscheint: "Demokratie kann nur funktionieren, wenn Menschen darauf vertrauen, dass die regierenden Personen integer handeln, dass die politisch Verantwortlichen mit dem ihnen geliehenen Vertrauen sorgsam umgehen, dass mit der Stimme, die wir bei der Wahl abgegeben haben, verantwortungsvoll umgegangen wird".

Nun haben die von VdB Angesprochenen (Nehammer & Co) mit der geforderten "Generalsanierung des substanziellen Wasserschadens" nicht einmal ansatzweise begonnen, fahren ungeniert mit dem fort, was sie auch vor dem 22.10.2022 schon nicht lassen konnten: Dummdreist zu behaupten, die türkis-schwarze Farbmixtur hätte eben kein Freunderlwirtschafts- oder gar ein Korruptionsproblem.

Wie auch immer - anlässlich von Wahlen, die selbst in einer massiv beschädigten Demokratie stattfinden, können alle jeweils Wahlberechtigten ihren Unmut über die "Schädiger der Substanz" (derzeit ÖVP & Grüne) zum Ausdruck bringen und deren Nichtstun "gegen den Schaden an der Substanz", der von ihnen angerichtet wurde, zumindest indirekt "bestrafen".

Hört man sich allerdings VdB anlässlich seiner neuerlichen Angelobung am 26.01.2023 an, hat es den Anschein, als sei der von ihm noch vor knapp 3 Monaten befundete "massive Schaden an der Substanz der Demokratie" längst behoben bzw. habe es ihn gar nie gegeben; "manche sagen, die Demokratie, unsere Demokratie, ist in der Krise; na, a bissl was ist da schon dran".

Quelle: https://www.bak.gv.at/downloads/start.aspx

Nun könnte man sich die Frage stellen, was denn in den letzten 3 Monaten seitens der Verantwortlichen (= türkis-grüne Bundesregierung) getan worden wäre, den durch die allenthalben und bundesweit vorhandene "Freunderlwirtschaft samt Korruption" entstandenen Schaden zu sanieren; die Antwort wäre einfach: Nichts; nichts, rein gar nichts wurde unternommen - und dennoch sieht der Befund VdB, quasi über Nacht, völlig anders aus; es hat fast den Anschein, VdB hätte vergessen, was er vor 3 Monaten behauptet und von sich gegeben hat.

Ob dieses "Vergessen" seinem Alter, dem Anlass oder der Tatsache geschuldet war, dass heute in NÖ bei den dort stattfindenden Landtagswahlen die politischen Karten völlig neu gemischt werden könnten, mag ob der obskuren Widersprüchlichkeit der Aussagen VdB nebensächlich erscheinen; viel eher sollte man sich damit beschäftigen, dass sich VdB bei seinem skurrilen TV-Auftritt am 26.01.2023 ("manche sagen, die Demokratie, unsere Demokratie, ist in der Krise; na, a bissl was ist da schon dran") auch rein persönlich von seiner Ansicht am 20.10.2022 abspaltet, in dem er anlässlich eines Interviews, das am 25.01.2023 ausgestrahlt wurde, auf die Frage, haben wir ein Korruptionsproblem im Land Folgendes geantwortet hat: "Ja, sicher, das hat sich ja anhand der Chatprotokolle herausgestellt".

Tags darauf ist aus seiner persönlichen Sicht ein "manche sagen" geworden, aus dem unmissverständlichem "Ja" ein verniedlichendes "na, a bissl was ist da schon dran" und aus dem seinerzeitigen "selbstverständlich ist es meine Pflicht, dass das auch passiert" ein relativierendes "wenn geht, noch vor der Wahl" (Herbst 2024) geworden.

Man könnte sich daher, und das völlig zu Recht, die Frage stellen, ob VdB mit dieser Wendehalshaltung nicht nur nichts dazu beiträgt, dass der massive Wasserschaden sofort behoben wird (was er zumindest am 20.10.2022 noch als seine Pflicht angesehen hat), sondern dieser Schaden, durch die bizarre Ignoranz seines eigenen Befundes, noch größer zu werden droht.

Damit ist aber (leider) noch nicht alles zum Demokratieverständnis VdB gesagt; noch gravierender fällt ins Gewicht, dass VdB anscheinend Zweifel am Funktionieren der Demokratie an sich hat und damit auch das fundamentale Grundprinzip der heimischen Verfassung ("Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.") in Frage stellt; während er am 26.01.2023 gemäß Art. 62(1) B-VG gelobt, die Verfassung getreulich zu beobachten, klingt das tags zuvor völlig anders; man könne (Gift darauf nehmen), dass VdB eine Partei nicht noch dadurch befördern werde, so sie sich nicht so verhält, wie er sich das vorstellt.

Wen er mit der Regierungsbildung beauftrage, stünde (seines Wissens!) nicht in der Verfassung und wen er zum Kanzler ernenne, sei seine "höchstpersönliche Entscheidung" - beide Aussagen sind richtig, daran führt kein Weg vorbei; die Frage, die ich mir stelle, ist allerdings, ob VdB seine eigene Ansicht und damit sich selbst ernst nimmt; zumindest noch am 20.10.2022 vertrat er die Meinung, "Demokratie kann nur funktionieren, wenn Menschen darauf vertrauen, dass die regierenden Personen integer handeln, dass die politisch Verantwortlichen mit dem ihnen geliehenen Vertrauen sorgsam umgehen, das mit der Stimme, die wir bei der Wahl abgegeben haben, verantwortungsvoll umgegangen wird".

Retrospektiv betrachtet sei daher die Frage erlaubt, ob VdB angesichts seiner am 25.01.2023 öffentlich gewordenen Ansicht zur FPÖ rund um Herbert Kickl, die zumindest derzeit in allen Umfragen als stimmenstärkste politische Kraft Österreichs gehandelt wird, nicht auch jene rund 30% Wahlberechtigten diskreditiert und deren politische Meinung ignoriert oder anders gefragt: Sieht so ein sorgsamer, verantwortungsvoller Umgang mit Wählerstimmen aus? Handelt VdB integer, wenn er sein politisches "Wohlwollen" davon abhängig macht, dass jemand die durchaus fragwürdigen Sanktionen gegen Russland unterstützt und sich proeuropäisch (im Sinne von unionstreu) verhält?

Quelle: https://www.bak.gv.at/downloads/start.aspx

Sollte VdB nicht viel eher darüber nachdenken, wer für den von ihm behaupteten "Wasserschaden" an den Grundfesten der Republik verantwortlich ist, wer an den Chatprotokollen beteiligt war, die für VdB (eigendefinitionsgemäß) erkennbar werden ließen, dass in Österreich auch korrupte Politiker regieren? - Und sollte sich nicht VdB die Frage stellen, wer denn Kurz gleich zweimal und danach Schallenberg & Nehammer als Bundeskanzler angelobt hat, die ja eigentlich allesamt immanente Teile des von VdB diagnostizierten Korruptionsproblems sein müssten.

Meines Wissens(!) war es VdB selbst, der die Genannten zu Kanzlern ernannt hat; insofern ist VdB, zumindest im Sinne eines Auswahlverschuldens, auch für deren Integrität, deren Handeln bzw. Unterlassen mitverantwortlich - in der Auswahl seiner jeweiligen Kanzlerkandidaten ist VdB ja, wie er selbst zu wissen vorgibt, völlig frei; es ist seine "höchstpersönliche Entscheidung"; blöderweise muss er dafür auch geradestehen, ob er will oder nicht.

Ganz ehrlich, Herr BP VdB: Ich persönlich habe neben Kurz & Schallenberg auch schon andere Bundeskanzler unbeschadet überstanden; dasselbe wird daher auch für Nehammer und Sie selbst (als BP) gelten; als Staatsbürger mit demokratischem Grundverständnis muss ich Sie, Nehammer & Co zwar hinnehmen - mehr aber auch nicht. Meines Wissens steht jedenfalls von Respekt nichts in der Verfassung unseres Landes ...

Chr. Brugger

29.01.2023